Kann die Zukunft der Mobilität nachhaltig sein – ohne fair zu sein?

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Der Mobilitätssektor ist wie nur wenige andere von der digitalen Transformation betroffen. Während die VerbraucherInnen innovative Lösungen nachfragen, die ihren sich wandelnden Mobilitätsbedürfnissen gerecht werden, steht die Branche unter immensem Druck gleichzeitig die CO2-Emissionen zu senken und einen Fokus auf nachhaltige Mobilität zu legen. 

Mobilitätsanbieter wie Uber haben die Branche auf den Kopf gestellt und Begriffe wie Mobility-as-a-Service (MaaS) zu allgegenwärtigen Schlagwörtern gemacht. Zweifellos ist die Branche im Wandel. Das Mobilitätsangebot wird immer größer – E-Scooter, E-Bikes und Mitfahrgelegenheiten stehen scheinbar überall zur Verfügung. Man kommt nur schwer an diesem Mobilitäts-Hype vorbei. Aber um die Dinge ins rechte Licht zu rücken, ist es nützlich, auch einige Fakten zu betrachten:

  • 62% der Carsharing-BenutzerInnen sind Männer.
  • 89% der BesitzerInnen von Elektrofahrzeugen in Deutschland sind Männer [1].
  • Das Durchschnittsalter der BesitzerInnen von Elektrofahrzeugen liegt bei 51 Jahren und 44 Prozent von ihnen haben ein monatliches Nettoeinkommen von über 6000 Euro.
  • 0,3% aller bestehenden Fahrzeuge in Deutschland sind Stand Januar 2020 elektrisch [2].
  • Die Zahl der in Deutschland neu zugelassenen Fahrzeuge ist im Jahr 2019 um 5% gestiegen [2]

Wenn man sich diese Zahlen ansieht, scheint es nicht eindeutig, dass die Mobilitätswende unmittelbar vor der Tür steht. Könnte man sogar etwas polemisch formuliert sagen: Die einzigen, die von innovativen Mobilitätskonzepten profitieren, sind reiche, alte Männer?

Jedoch lässt man die Provokation beiseite, so sieht man, dass es bei der Nutzung innovativer Mobilitätslösungen tatsächlich ein Ungleichgewicht der Geschlechter gibt. Darüber hinaus sind Menschen außerhalb der Städte von den neuen Mobilitätstrends nach wie vor kaum betroffen und noch immer in hohem Maße von ihrem persönlichen Fahrzeug abhängig. Der angeregte, mediale Diskurs um Mobility-as-a-Service scheint also der Realität der Menschen zwei Schritte voraus zu sein.

Quelle: Mobilität in Deutschland 2017 – Ergebnisbericht  

Die unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse von Männern und Frauen

Aber warum nutzen Frauen die neuen Mobilitätsprodukte und -dienstleistungen nicht im gleichen Ausmaß wie Männer? „Wir wissen aus der Forschung, dass Männer und Frauen unterschiedliche Bedürfnisse haben, wenn es um Mobilität geht“, sagt Angelika Rauch, Geschäftsführerin der tbw research, einem gemeinnützigen Unternehmen, das sich auf Forschung und Beratung im Bereich Verkehr und Mobilität konzentriert. „Einkäufe, Besorgungen, Hol- und Bringdienste für Kinder und ältere Menschen werden nach wie vor hauptsächlich von Frauen erledigt. Dies spiegelt sich in ihrer Mobilität wider: Sie bewegen sich in einer Reihe kürzerer Distanzen – dem so genannten Trip-Chaining, während Männer meist einen langen Weg ohne Unterbrechung zurücklegen.“

Zum Beispiel: Männer fahren zur Arbeit. Frauen fahren zur Arbeit, gehen in die Apotheke, holen die Kinder ab und besuchen die Großmutter. Die traurige Realität, dass Frauen immer noch 80% der unbezahlten Arbeit verrichten, spiegelt sich in diesen Statistiken wider. „Die Nutzung von Carsharing für kurze Fahrten mit Zwischenstopps ist für einen großen Teil der Bevölkerung einfach zu teuer“, sagt Rauch. Auch die Infrastruktur spielt eine Rolle, denn Frauen sind oft mit mehreren Fahrgästen unterwegs und tragen große Mengen an Gepäck mit sich herum. Selbst wenn sie also ein ShareNow Fahrzeug (früher DriveNow) mit Kindersitz in ihrer Nähe finden, haben sie häufig ein zweites Kind oder 5 Einkaufstaschen dabei. Diese Menge an Gepäck gestaltet den Gebrauch von E-Scootern zum Beispiel eher schwierig.

Quelle: Omnitrend GmbH, Zu Fuß gehen in Wien, 2015

Geld spielt auch bei der Mobilität eine Rolle

Da Frauen ein geringeres verfügbares Einkommen haben, tendieren sie dazu, umweltfreundlichere Verkehrsmittel wie zu Fuß gehen, das Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Dies ist zwar allgemein eine erfreuliche Tatsache, stellt aber den Zweck von Innovation und digitaler Transformation in Frage. Was ist der gesellschaftliche Zweck der Technologie, wenn sie, anstatt einem Großteil der Menschen den Zugang zu Mobilität zu erleichtern, diesen nur für einige wenige bequemer macht?

Der Nutzer muss an erster Stelle stehen

Es sind vor allem Menschen in ländlichen und suburbanen Gebieten, die unter einem eingeschränkten Zugang zu Mobilität leiden. Während Angebote wie Uber und WeShare (der elektrische Carsharing-Service von VW) in urbanen Gebieten starteten, um eine neuen Alternative zum Individualverkehr zu bieten, können auch immer mehr ländliche Gebiete, in denen öffentliche Verkehrsmittel oft nicht flächendeckend zur Verfügung stehen, von diesen Plattformen profitieren. 

Nichtsdestotrotz stehen wir noch am Anfang, nachhaltige Verkehrsmittel für alle anzubieten. Ob es um Frauen, Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen oder ältere Menschen geht – der Schlüssel zu zugänglichen und erfolgreichen Mobilitätskonzepten könnte – wieder einmal – darin liegen, den Nutzer in den Mittelpunkt der Innovation zu stellen. „Öffentliche Dienstleistungs- und Mobilitätsanbieter müssen bei der Entwicklung neuer Angebote zielgruppenspezifisch arbeiten“, meint Angelika Rauch von der tbw research.

MaaS-Anbieter scheinen dem zuzustimmen, da sie bereits an zugänglicheren Angeboten arbeiten. „Wir denken über neue Preismodelle nach, um E-Roller für tägliche Fahrten attraktiver zu machen“, sagt zum Beispiel Fabian Lebersorger vom E-Roller-Anbieter Bird. „Wir haben mit Bird Access, das bereits in vielen Städten verfügbar ist, ein Programm, um auch finanziell schwachen Menschen Zugang zu unseren Dienstleistungen zu verschaffen. In den USA arbeiten wir an Pilotprojekten, um das Design unseres Produkts so zu verbessern, dass es für Menschen mit eingeschränkter Mobilität leichter zugänglich wird.“

Quelle: Mobilität in Deutschland 2017 – Ergebnisbericht  

Zusammenarbeit ist der Schlüssel zum Erfolg

Auch wenn die ersten Schritte bereits unternommen werden, stellt die Ausweitung von Mobilitäsdienstleistungen für finanziell schwächere Bevölkerungsgruppen eine Herausforderung dar mit dem gleichzeitigen Ziel die Geschäftsmodelle profitabel zu halten. 

Die OEMs haben hart daran gearbeitet, dynamische Carsharing-Angebote in ihrer jetzigen Form rentabel zu machen. Abermals könnte die Antwort in einer starken Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor liegen, um Technologie und Daten zum Nutzen aller zu machen. Dies steht im Einklang mit der Vision von accilium. Unsere Unternehmensberatung wurde aus der Idee heraus gegründet, dass die Zukunft der Mobilität auf dem Prinzip beruht, dass die Automobilindustrie, der öffentliche Sektor und der Energiesektor auf Augenhöhe kooperieren und gemeinsam Digitalisierungsinitiativen vorantreiben.

Uber unternimmt erste Schritte in diese Richtung. „Der gleichberechtigte Zugang zu Mobilität ist für uns ein wirklich wichtiges Thema“, erklärt Uber Austria CEO Martin Essl. Sie sind derzeit in Gesprächen mit Interessenvertretern auf der ganzen Welt, um einen nahtlosen Zugang zu verschiedenen Mobilitätsangeboten zu bieten und die NutzerInnen des öffentlichen Verkehrs bestmöglich zu bedienen. „Wir wollen gemeinsam mit den Städten, in denen wir tätig sind, an der Gestaltung der Zukunft des öffentlichen Verkehrs mitwirken. Wir glauben, dass unsere Plattform und unser Wissen die Städte dabei unterstützen können, eine zukünftige Mobilität zu gestalten, die allen dient“, so Essl. Zum Beispiel, gibt Bird bereits aggregierte Daten an die Kommunen weiter, um die Infrastruktur und das Verkehrsmanagement im Allgemeinen zu verbessern.

Erfolgsgeschichten aus der Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Sektor

Möglicherweise kann in Zukunft noch mehr erreicht werden, wenn die Stärken aus allen Bereichen genutzt werden, um gemeinsam integrative Lösungen zu schaffen. Forschungseinrichtungen können Einblicke in die Bedürfnisse der NutzerInnen geben. So hat die tbw research gemeinsam mit Taxi 31300 den Dienst „Taxi Plus“ entwickelt, bei dem die Möglichkeiten für verschiedene Nutzergruppen wie Kinder, ältere Menschen oder Menschen mit eingeschränkter Mobilität im Vordergrund stehen. 

Zum einen könnten öffentliche Einrichtungen die Finanzierung und den Zugang zu Daten bereitstellen, während sich OEMs und MaaS-Anbieter auf ihr technologisches Know-how und die optimale Nutzung von Daten konzentrieren können, um Plattformen zum Nutzen aller zu entwickeln. Deshalb wäre es vielleicht keine schlechte Idee, mehr Frauen und Menschen mit unterschiedlichem kulturellen und sozioökonomischen Hintergrund an das Steuer zu setzen. Schließlich führt eine diverse Besetzung von EntscheidungsträgerInnen meist zu innovativeren und vielfältigeren Lösungen.

Quellen:

[1] https://www.dlr.de/vf/Portaldata/12/Resources/dokumente/projekte/pakt2/Ergebnisbericht_E-Nutzer_2015.pdf

[2] https://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Neuzulassungen/n_jahresbilanz.html

[3] http://www.b-nk.at/wp-content/uploads/2015/08/B-NK-2009-VCOE_Hintergrundbericht_Gender_Gap.pdf

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