An empty road in an asian city in the middle of buildings on the left and right side of the road.

Eine autofreie Innenstadt – Auswirkungen auf Verkehr, Anwohner und Unternehmen

Der anhaltende Megatrend der Urbanisierung lässt Städte auf der ganzen Welt wachsen und setzt die Mobilitätsinfrastruktur unter hohen Druck. Da der verfügbare Straßenraum eine begrenzte Ressource darstellt, ist die Aufteilung des verfügbaren Raums auf die verschiedenen Mobilitätsarten Gegenstand einer laufenden gesellschaftlichen und politischen Debatte. In Österreich konzentriert sich die Debatte derzeit auf die Reduzierung des Autoverkehrs im Zentrum der Stadt Wien durch die Durchsetzung einer autofreien Innenstadt.

Um den politischen Aspekten, die im Zuge der bevorstehenden Wiener Wahlen diskutiert werden, aus dem Weg zu gehen, befasst sich dieser Artikel auf die Auswirkungen einer autofreien Innenstadt auf verschiedene Interessengruppen. Während eine solche flächendeckende Verkehrsmaßnahme eine große Anzahl von Akteuren betrifft, konzentriert sich dieser Artikel auf drei Auswirkungen:

  • Auswirkungen auf den Verkehr
  • Auswirkungen auf die Anwohner
  • Auswirkungen auf die Unternehmen

Die Bewertung dieser Auswirkungen und der sich daraus ergebenden Folgen stützt sich auf die vorgeschlagene Verordnung, die Liste der Ausnahmen und einen Vergleich mit ähnlichen Projekten zur Verkehrsreduzierung.

Die Pläne für eine autofreie Innenstadt in Wien:

In einem Versuch, den Autoverkehr in der Wiener Innenstadt zu reduzieren, kündigte Brigitte Hebein, Vizebürgermeisterin von Wien, Pläne zur Schaffung einer „autofreien Innenstadt“ an. Die Pläne betreffen den größten Teil des Ersten Wiener Gemeindebezirks, das Gebiet des historischen Stadtzentrums mit rund 2,9 Quadratkilometern und 16.400 Einwohnern, das von der Ringstraße und dem Donaukanal umschlossen wird.

Abbildung 1: Wirkungsbereich des vorgeschlagenen Fahrverbots

Trotz der Ankündigung einer „autofreien Innenstadt“ ist ein vollständiges Verbot von Privatfahrzeugen nicht vorgesehen. Stattdessen sollen nur Fahrzeuge mit einer Sondergenehmigung einfahren dürfen. Eine Liste von sechzehn Ausnahmen soll diese Erlaubnis regeln:

Tabelle 2: Liste der Ausnahmen und der von diesen Ausnahmen betroffenen Akteure

Ursprünglich sollten die Pläne rechtzeitig zur bevorstehenden Wien-Wahl im Oktober in Kraft treten, sind aber derzeit Gegenstand der politischen Diskussion. Es ist daher ungewiss, ob und wann die Verkehrsregelung in der vorgeschlagenen Form in Kraft treten wird.

1.) Auswirkungen auf den Verkehr:

Der Verkehr wird durch die vorgeschlagenen Fahrverbote in mehrfacher Hinsicht beeinträchtigt. Das Einfahrverbot für den ersten Bezirk bedeutet vor allem, dass die Zahl der zugelassenen Fahrzeuge reduziert wird. Laut einer Studie von Paul Pfaffenbichler, Institut für Verkehrsforschung, Universität für Bodenkultur, Wien, werden die Pläne zu einer Verringerung des werktäglichen Verkehrs um 26 Prozent führen, was 8.700 Fahrten weniger pro Tag entspricht. Für die umliegenden Bezirke ergibt sich eine leichte Zunahme des Verkehrs um weniger als ein Prozent, also 1.700 Fahrten pro Tag. Durch den Wegfall der Parkmöglichkeiten im ersten Bezirk wird der Druck auf die Parkplätze in den umliegenden Bezirken von 83 auf 87 Prozent steigen. Der öffentliche Verkehr ist nicht direkt betroffen, da alle Linien des öffentlichen Verkehrs weiterhin Zugang zum Stadtzentrum haben werden.

Für eine Einschätzung der weitergehenden Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten in Wien ist ein Vergleich mit Oslo, Norwegen, hilfreich. Im Stadtzentrum von Oslo wurde 2017 eine Verkehrsreduktion in ähnlichem Umfang durchgeführt. In einer Analyse dieser Maßnahme stellten Hagen et al. [1] fest, dass die Auswirkungen auf den Modal Split nicht signifikant waren. Schon vor der Verordnung nutzten mehr als zwei Drittel der Pendler und regelmäßigen Nutzer des Stadtzentrums öffentliche Verkehrsmittel und weniger als 10 Prozent benutzten private Pkws. Der Anteil der Pkw-Nutzung, der von den Maßnahmen betroffen war, war so gering, dass er zu keiner signifikanten Verschiebung des Modal Split führte. Für den ersten Wiener Gemeindebezirk mit seinem hohen Anteil an ÖPNV-Nutzern wird sich der Modal Split wahrscheinlich in ähnlicher, nicht signifikanter Weise verändern.

Auswirkungen:

Die geschätzte Reduzierung von 8.700 Fahrten im Stadtzentrum pro Tag führt zu einer Verringerung des Verkehrsaufkommens und damit zu einer Verringerung der Luftverschmutzung und des Zeitverlusts. Vor allem die Parkplatzsuche trägt wesentlich zur Verkehrsüberlastung in den Städten bei, denn 30 Prozent der Fahrzeuge im Stau sind auf der Suche nach einem Parkplatz. [2] Indem man den meisten Privatfahrzeugen ohne reservierten Parkplatz die Zufahrt zu den Stadtzentren verwehrt, wird der Umfang der Parkplatzsuche drastisch reduziert.

Überträgt man die Berechnungen von Donald Shoup für Westwood Village, Los Angeles, USA, auf den ersten Wiener Gemeindebezirk, so würde die Reduktion der Parkplatzsuche um 8.700 Fahrzeuge pro Tag zu 5.600 weniger gefahrenen Kilometern pro Tag führen. Über das Jahr gerechnet ergibt dies 1,4 Millionen weniger gefahrene Kilometer, eine Einsparung von 112.000 Litern Treibstoff und 269 Tonnen CO2.

Eine weitere Auswirkung ist der Gewinn von Straßenraum durch die Verringerung der Anzahl von Fahrzeugen und damit von Parkplätzen. Im ersten Bezirk befinden sich über 7.500 Parkplätze im Straßenbild [3], die über 82.000 Quadratmeter öffentlichen Raum beanspruchen – das entspricht mehr als 11 Fußballfeldern. Durch die Umwidmung von Teilen dieser Fläche in andere Nutzungen wird mehr Platz für den Lieferverkehr, Fußgänger und Radfahrer geschaffen, was wiederum die Attraktivität für diese Mobilitätsarten erhöht und ihren Anteil steigert. Durch die Nutzung des Straßenraums als öffentlicher Raum zum Verweilen und Konsumieren könnte die Aufenthaltsattraktivität in einigen der weniger frequentierten Bereiche des ersten Bezirks erhöht werden.

2.) Auswirkungen auf die Einwohner des ersten Bezirks:

Für die Besitzer von Privatfahrzeugen, von denen insgesamt 19.112 Fahrzeuge im ersten Bezirk [4] zugelassen sind, haben die Änderungen nur minimale Auswirkungen. Besitzer eines Fahrzeugs mit einem gültigen Parkausweis im Ersten Bezirk sowie Besitzer eines Fahrzeugs mit einem privaten Stellplatz sind von dem Fahrverbot ausgenommen, wie in Tabelle 1 dargestellt. Die einzige Gruppe von Einwohnern, die direkt von dem Fahrverbot betroffen ist, sind diejenigen, die ein Auto besitzen, aber öffentliche Parkplätze ohne Jahresparkausweis nutzen. Für sie hebt die Beantragung eines solchen Ausweises die Auswirkungen auf.

Auswirkungen:

Da die Auswirkungen auf die Anwohner durch die Ausnahmen minimiert werden, gibt es nur wenige relevante Auswirkungen. Ein Aspekt ist, dass Genehmigungen für Privatbesucher von Anwohnern von dem Fahrverbot betroffen sind. Dies ist Gegenstand laufender politischer Diskussionen, um ein Gleichgewicht zwischen der Ermöglichung von Hilfsdiensten für Menschen mit eingeschränkter Mobilität und der Vermeidung einer zu starken Aufweichung der Beschränkungen zu finden.

Indirekt könnte sich die Verordnung auch auf das Leben der Bewohner des ersten Bezirks auswirken. Eine Reduktion des Verkehrs in Kombination mit Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung des Straßenbildes könnte zu einer Verlagerung des Lebens in den öffentlichen Raum führen und das Straßenleben in der Innenstadt beleben.

3.) Auswirkungen auf die Unternehmen:

Für die im ersten Bezirk ansässigen Unternehmen könnten die vorgeschlagenen Pläne eine Reihe von Auswirkungen haben. Die Mitarbeiter dürfen mit ihren privaten Fahrzeugen nicht in den ersten Bezirk einfahren. Wie mit firmeneigenen Parkplätzen für Mitarbeiter umgegangen wird, ist derzeit noch nicht ganz klar. Mitarbeiter, die in der Stillstandszeit des öffentlichen Verkehrs zwischen 24:00 und 05:30 Uhr zur Arbeit fahren, dürfen nach der in Tabelle 1 aufgeführten Ausnahmeliste in die Innenstadt einfahren.

Die Ladetätigkeit wird an Werktagen zwischen 06:00 und 18:00 Uhr und an Samstagen zwischen 06:00 und 13:00 Uhr erlaubt sein, um die Belieferung der örtlichen Unternehmen zu ermöglichen. Zeitkritische Lieferungen wie verderbliche Lebensmittel oder Medikamente sind auch an Sonntagen erlaubt. Für Unternehmen, die im ersten Bezirk Servicearbeiten durchführen, ist die Zufahrt ebenfalls erlaubt. Für Verladearbeiten könnten die Pläne sogar von Vorteil sein. Hagen et al. [1] fanden heraus, dass in Oslo Lieferfahrer einen Mangel an Ladeplätzen als dringendes Problem nannten. Eine Reduzierung der Parkplätze im ersten Bezirk könnte eine Ausweitung solcher Zonen ermöglichen.  

Auswirkungen:

Die Pläne für eine autofreie Innenstadt werden sich auf Handel und Gastronomie im Ersten Bezirk in unterschiedlicher Weise auswirken. Eine Auswirkung ist, dass Kunden von außerhalb ohne Sondergenehmigung ihr Ziel nicht mehr mit dem Fahrzeug erreichen können. Dies kann zu einem Rückgang der Kundenzahlen führen. Andererseits könnte eine Verringerung des Autoverkehrs zu einer höheren Aufenthaltsqualität führen, was wiederum eine höhere Zahl von Fußgängern und damit mehr Besucher und Umsatz zur Folge hätte. Das Ausmaß dieser Effekte ist umstritten, aber Wylie [5] stellt fest, dass in den meisten Fällen die Geschäfte nach verkehrsreduzierenden Maßnahmen gestiegen sind. Dieser Effekt ist jedoch nicht für alle Arten von Unternehmen gleich. Restaurants und Textilgeschäfte können profitieren, während Geschäfte, die „Waren des täglichen Bedarfs“ verkaufen, Verluste hinnehmen müssen.

Was die Einkaufsgewohnheiten in Bezug auf den Verkehrsträger betrifft, so stellt Mørk [6] fest, dass Autofahrer zwar mehr Geld pro Einkauf ausgeben, dies aber durch den höheren Anteil und die höhere Häufigkeit der Fußgänger und der Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel ausgeglichen wird, was zu einer höheren Gesamtauswirkung auf den Gesamtumsatz durch diese Gruppen führt. Ladenbesitzer überschätzen regelmäßig die Bedeutung der Erreichbarkeit mit dem Auto für ihren Kundenstamm.

Ausgehend von diesen Beispielen werden die Auswirkungen der autofreien Innenstadt auf die Geschäfte im Stadtteil individuell unterschiedlich sein. Geschäfte mit einem hohen Anteil an Kunden, die motorisierte Fahrzeuge nutzen, könnten darunter leiden, während Geschäfte mit einem hohen Anteil an Laufkundschaft profitieren könnten. Ein besonderer Aspekt ist, dass der Erste Bezirk bereits aus großen Fußgängerzonen besteht. Ob die Fußgänger von diesen prominenteren Straßen in die Seitenstraßen abwandern werden, ist fraglich und hängt von den baulichen Maßnahmen zur Erhöhung der Aufenthaltsqualität und der Attraktivität des Straßenbildes ab, wie sie in Oslo beobachtet wurden. [5]

Schlussfolgerung:

Die Analyse der Auswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahmen auf verschiedene Aspekte zeigt, dass die umfangreiche Liste der Ausnahmen die Verkehrsreduzierung gut bewältigt. Die negativen Auswirkungen auf Anwohner und Unternehmen werden durch die Sondergenehmigungen abgemildert. Dies führt aber auch zu einer geringeren Wirkung der Maßnahmen, wobei die „autofreie Innenstadt“ nur zu einer Verkehrsreduktion von 26 Prozent führt.

Das Beispiel Oslo zeigt, dass der freigewordene Raum kultiviert werden muss, um aus einem solchen Projekt Nutzen zu ziehen. Dies ist für die Attraktivität des Straßenbildes und in der Folge für die Lebensqualität der Bewohner und die Frequentierung der Geschäfte von wesentlicher Bedeutung. Aber jede bauliche Maßnahme braucht Zeit bis zur Umsetzung und öffentliche Mittel. Durch die Einbeziehung des gesamten ersten Bezirks ist die Zahl der betroffenen Straßen hoch und neben den Einzelentscheidungen für jede Straße ist außerdem ein übergreifender Ansatz für die Umgestaltung der Straßen erforderlich. Für eine erfolgreiche Umsetzung eines autofreien Stadtkonzepts in Wien sollte daher ein größerer Teil des öffentlichen Diskurses auf die begleitenden baulichen Maßnahmen verlagert werden.

Quellen:

[1] Hagen, O. H., Caspersen, E., Landa-Mata, I., Tennøy, A., & Ørving, T. (2020). BYTRANS: Changes in the City Centre of Oslo 2017-2019. Effects and Consequences for Commuters, City-centre Users, City-centre Attractiveness, and for Delivery Drivers (No. 4334).

[2] Shoup, Donald. (1997). The High Cost of Free Parking. Journal of Planning Education and Research. 17. 3-20.

[3] Stadt Wien, Statistische Kennzahlen – Parkraumbewirtschaftung, https://www.wien.gv.at/verkehr/parken/entwicklung/kennzahlen.html

[4] Stadt Wien, Kraftfahrzeugbestand nach Gemeindebezirken (2018). https://www.wien.gv.at/statistik/verkehr-wohnen/tabellen/kfz-bestand-bez.html

[5] Wylie, J. (2019). Reducing business opposition to car-free city centres: The case of Oslo. IIIEE Master Thesis.

[6] Mørk, I. K. (2016). On-street parking and shopping street vitality: Comparing customer and shopkeeper perspectives on shopping practices and experiences in Markveien, Oslo (Master’s thesis).

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