Das Deutschland-Ticket: Chancen für öffentliche Verkehrsbetriebe
Am 31. März billigte der Bundesrat das Deutschland-Ticket (49 €), welches langfristig den Zugang zur Mobilität für die gesamte Bevölkerung vereinfacht (Quelle). Nach zwei Monaten können erste Schlussfolgerungen gezogen werden.
Das Deutschland-Ticket, als Nachfolger des 9-Euro-Tickets aus dem letzten Jahr, schafft nicht nur eine neue Basis für die Mobilität von Menschen, die öffentliche Verkehrsmittel nutzen, sondern etabliert auch eine neue Rolle für die Verkehrsunternehmen innerhalb des Mobilitätsökosystems.
Mit dem Ticket können die Bürger:innen Deutschland unbegrenzt im ganzen Land mit allen öffentlichen Verkehrsmitteln (Ausnahme: Fernverkehr) fahren. Die Kund:innen können ihr Ticket monatlich kündigen, was eine maximale Flexibilität für die Reisenden ermöglicht. Es ist derzeit standardmäßig digital und optional über eine Chipkarte bis zum 31. Dezember 2023 erhältlich (Quelle, Quelle), welches den Digitalisierungsdruck auf die Verkehrsunternehmen immens erhöht.
Der Bund finanziert das Ticket teilweise, indem er 1,5 Mrd. € pro Jahr (insgesamt 4,5 Mrd. € bis 2025) als Verlustausgleich für die öffentlichen Verkehrsunternehmen bereitstellt. Die Bundesländer beteiligen sich in gleicher Höhe an der Finanzierung (Quelle).
Um eine schnelle Umsetzung des Tickets zu gewährleisten, hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing ein vereinfachtes Verfahren zur Einführung vorgeschlagen. Insgesamt gilt das Deutschland-Ticket als große Innovation im Öffentlichen Verkehrssektor, da es komplexe tarifstrukturen abschafft, faire Preise gewährleistet, Mobility as a Service (MaaS) integriert und neue Kundengruppen anspricht.
Vor diesem Hintergrund haben wir uns die Auswirkungen des Tickets genauer angeschaut und drei wesentliche Chancen identifiziert, die sich für Verkehrsunternehmen ergeben:
- Vollständige Digitalisierung und Vereinfachung der deutschen ÖPNV-Struktur
- Ermöglichung von Shared Mobility Lösungen
- Erschließung neuer Vertriebskanäle und Kundengruppen
1. Vollständige Digitalisierung und Vereinfachung der deutschen ÖPNV-Struktur
Das Deutschland-Ticket ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Mobilitätswende, in dem es den öffentlichen Nahverkehr vollständig digitalisiert.
Volker Wissing regt an, das Ticket ausschließlich digital anzubieten, um die Zugänglichkeit über Online-Kanäle zu erhöhen und das Kundenerlebnis zu verbessern. Bis zum Ende des Jahres sollen Papiertickets keine Option mehr sein (Quelle).
Vor der Einführung des Deutschland-Tickets hatte jedes Bundesland eine lokale und komplexe Tarifstruktur, welche die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs eher kundenunfreundlich machte. Mit dem Deutschland-Ticket werden die „traditionellen“ Tarifstrukturen vollständig abgebaut, da es ein bundesweit einheitliches Ticket gibt, welches Nutzergruppen zu einem günstigen Preis anspricht. Erste Hochrechnungen verdeutlichen die Beliebtheit des Tickets: Innerhalb der ersten fünf Wochen, als der Vorverkauf am 3. April 2023 begann, kauften rund sieben Millionen Fahrgäste ein Deutschland-Ticket. Rund zwei Millionen davon waren Neukund:innen. Der Verkehrsverband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) erwartet, dass sich insgesamt fünf bis sechs Millionen Neukund:innen für das Ticket entscheiden werden. Außerdem wird prognostiziert, dass rund elf Millionen Stammkund:innen von ihrem bisherigen Abonnement auf die neue Möglichkeit umsteigen werden (Quelle).
VDV-Präsident Ingo Wortmann hält diese Zahlen für sehr vielversprechend, betont aber auch, wie wichtig es ist, Kund:innen langfristig zu binden, z.B. durch individuelle Mobilitätsangebote.
2. Ermöglichung von Shared Mobility Lösungen
Obwohl alle Nutzer:innen mit dem Ticket den gleichen Preis bezahlen, bieten die örtlichen Verkehrsunternehmen dennoch individuelle Beförderungsregelungen an. Diese sind jedoch wesentlich zielgerichteter und weniger komplex. Der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) bietet zum Beispiel eine monatliche „Ticket-Plus“ Option für 9,90 € an, wodurch weitere Personen mitfahren können. Andere Nahverkehrsunternehmen bieten Vergünstigungen für Student:innen und Senioren, Angebote für die erste Klasse oder die Möglichkeit, Fahrräder oder Hunde vergünstigt mitzunehmen (Quelle).
Betreiber von Mobilitätsplattformen, wie HanseCom oder Mobilityinside haben sich das zentral verfügbare Deutschland-Ticket zunutze gemacht, indem sie eine Deutschland-Ticket App anbieten, in die sich Verkehrsverbünde und Unternehmen integrieren können (Quelle/Quelle).
Mehrere PTOs oder Plattformen binden bereits Mobilitätslösungen ein, die Vorteile wie kostenlose Bike-Sharing-Nutzung oder Rabatte auf Car-Sharing-Dienste beinhalten. In Zukunft werden voraussichtlich weitere Angebote auf das Deutschland-Ticket aufgesetzt.
Auch die Aufnahme von Mikromobilitätslösungen in das Angebot wird neue Kund:innen anziehen. Vor allem diejenigen, die in ländlichen Gebieten leben, werden sich das Angebot zu Nutze führen, da sie nicht über ausreichende öffentliche Verkehrsverbindungen verfügen.
Darüber hinaus wird das Deutschland-Ticket positive Auswirkungen auf die Ride-Hailing-Branche (insbesondere in ländlichen Regionen) haben. Die Integration ihrer Dienste wird die Attraktivität erhöhen und die Reisemöglichkeiten in ländlichen Gebieten fördern. Uber, als Mitstreiter innerhalb der Ride-Hailing-Branche, hat beispielsweise behauptet, in den Sommermonaten des 9-Euro-Tickets (2022) aufgerüstet zu haben, da es sich auf ein Angebot für die letzte Meile spezialisiert hat. Da die Menschen durch das 9-Euro-Ticket nicht viel Geld für öffentliche Verkehrsmittel ausgegeben haben, könne dieses Budget anders eingesetzt werden, so Uber (Quelle). FreeNow folgt dem Beispiel und bietet derzeit einen 10 €-Gutschein an, wenn man das Ticket über seine Website kauft. Damit macht sich das Unternehmen die neue Situation zunutze und spricht neue Kund:innen an (Quelle).
3. Erschließung neuer Vertriebskanäle und Kundengruppen
Mit der Einführung des Deutschland-Tickets hat sich die Zahl der digitalen Vertriebskanäle sowie die der neuen Kunden(gruppen) sich deutlich erhöht. Wie bereits erwähnt, verkauften die Verkehrsunternehmen ihre Fahrkarten traditionell auf lokaler Ebene. Mit dem zentralen Angebot des Deutschland-Ticket ergibt sich eine neue Chance, Kund:innen bundesweit anzusprechen.
Eine Kund:in in Bayern kann beispielsweise sein Ticket in Hamburg kaufen, eine Kund:in aus Berlin in Köln. Dadurch entsteht ein erhöhter Wettbewerbsdruck zwischen den regionalen Verkehrsunternehmen, die bisher eine Monopolstellung für ihre Region innehatten.
Um neue Kund:innen zu gewinnen und bestehende Kund:innen zu binden, müssen die Verkehrsunternehmen ihr Angebot erweitern. Sie müssen insbesondere die neue Rolle als „integrierter Mobilitätsanbieter“ annehmen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies verdeutlicht die enormen Chancen, aber auch das große Risiko, das sich daraus ergibt: diejenigen, die aufspringen und sich anpassen, werden profitieren, während für andere die Gefahr besteht, ihr lokales Geschäft zu verlieren.
Neben dem (traditionellen) B2C-Modell schafft das Ticket auch neue Geschäftsmöglichkeiten im B2B-Vertrieb. Erst kürzlich hat die Deutsche Bahn mit der REWE Group (Handel und Touristik) den ersten Rahmenvertrag für das Deutschland-Ticket als Jobticket abgeschlossen. Bis zu 150.000 Mitarbeiter:innen der REWE Group können nun bundesweit ihr Ticket für 34,30 Euro bestellen (Quelle). Die Mitarbeiter:innen der REWE Group aus allen teilnehmenden Konzernunternehmen in ganz Deutschland können dieses Angebot nutzen – egal ob sie im Markt, in der Verwaltung oder in der Logistik arbeiten.
Mit der Einführung des Tickets ergeben sich flexiblere und attraktivere Lösungen für die betriebliche Mitarbeitermobilität, insbesondere für Pendler:innen. Wenn ein Arbeitgeber das Deutschland-Ticket mit mindestens 25 % bezuschusst, geben Bund und Länder, also die Verkehrsverbünde, noch einmal 5 % Rabatt obendrauf (Quelle). Die Deutsche Bahn DB hat die Geschäftschance erkannt und ist bereits mit rund 1.000 anderen Unternehmen im Austausch. Viele Firmen haben bereits Interesse bekundet. Diese müssen auch zukünftig angesprochen werden.
Key Takeaways
Das Deutschland-Ticket ist ein wichtiger Schritt für den einfachen Zugang zum öffentlichen Nahverkehr und rückt ihn ins Zentrum der Mobilitätswende.
accilium befürwortet die folgenden Kernaussagen, die sich für Transportunternehmen ergeben:
- Durch die Entstehung neuer Digitalisierungsmöglichkeiten und die Auflösung der traditionellen Tarifstruktur erfolgt ein nachhaltiger Wandel im ÖPNV.
- In der Rolle als „integrierter Mobilitätsanbieter“ unter Einbindung zielgruppengerechter Mobilitätsangebote, bleiben Verkehrsunterehmen langfristig wettbewerbsfähig.
- Das Deutschland-Ticket ermöglicht die Einbindung neuer Geschäftsmodelle für Privatkund:innen (B2C) und Unternehmen (B2B) deutschlandweit.
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Oliver Danninger
Partner & Capability Lead Sustainability & CSRD