Rund um die Fragestellung “Sauber, leise, sicher: „Welchen Mobilitätsmix braucht die lebenswerte Stadt?” haben die Wiener Linien zu einem spannenden Tag in die Remise des Verkehrsmuseums in Wien, moderiert von Alexander Hotowy, Managing Partner von accilium, geladen. Corona-bedingt mussten die Keynotes und das Panel leider vor leeren Plätzen gehalten werden – ursprünglich war das Event mit 100 Personen vor Ort geplant. Mit dem Livestream wurden es aber mehr als 300 Zuseher – der Digitalisierung sei Dank! Über den Chat konnten Fragen gestellt und kommentiert werden, sodass Interaktion und die daraus entstehenden, spannenden Impulse auch ohne Vor-Ort-Präsenz möglich waren.
(c) Copyrights | Photo credits, Zsolt Marton
Der Begrüßung durch die beiden Geschäftsführer der Wiener Linien, folgten insgesamt vier Keynotes zu den Themen “Klimagerechte und nachhaltige Mobilität jetzt” (Mira Dolleschka, Fridays for Future), “5 Zutaten für die vielfältige Mobilität von Morgen” (Claudia Falkinger, Women in Mobility), “40-40-20: Die Idealmaße einer lebenswerten Stadt?” (Lukas Lang, 3420 AG und Univ.Prof. Martin Berger, TU Wien), und “Ein umgefallenes Rad aus China – oder doch ein integriertes Mobilitätskonzept” (Alexandra Reinagl, Wiener Linien). Den krönenden Abschluss des Tages bildete das Diskussions-Panel zum Motto des gesamten Events, dessen inhaltliche Ausgestaltung von accilium, Managementberatung mit Fokus auf die Mobilität der Zukunft, entworfen und moderiert wurde.
Corona-Krise vs. Klima-Krise
Alexandra Reinagl, Geschäftsführerin der Wiener Linien, eröffnete die Veranstaltung mit einem wichtigen Hinweis: in den letzten Monaten hat die Corona-Pandemie einschneidende Veränderungen für alle von uns gebracht – und damit die Bewältigung einer anderen, noch schwerwiegenderen Krise etwas weiter in den Hintergrund rücken lassen: Der Bedrohung durch den Klimawandel.
Sobald Mobilität zum Thema wird, stellt sich gleich folgerichtig die Frage zu den aktuell deutlich zu hohen CO2-Emissionen des Verkehrs: Auch wenn sich die Stadt Wien im Stadtentwicklungsplan “STEP 2025” das Ziel gesetzt hat, die CO2-Emissionen bis 2050 auf 0 (Null!) zu senken, bedeutet das noch nicht, dass wir – wie Martin Blum von der Mobilitätsagentur Wien es formuliert – bereits auf „Zielerreichungskurs“ sind.
Barbara Laa von der Initiative Platz für Wien sieht das ähnlich: Sie hält den STEP 2025 für „durchaus lobenswert, mit tollen Zielen. Das Problem ist, dass wir das nicht erreichen werden, wenn wir weitermachen wie bisher. Es muss einfach mehr getan werden.“ Deshalb hat Platz für Wien 18 Forderungen in einem 10-Jahres-Plan entwickelt, der den Grundstein für die notwendige Reduzierung der Verkehrsemissionen legen soll.
Mira Dolleschka von Fridays for Future macht ihre Forderung bereits im Titel ihrer Keynote unmissverständlich: “Klimagerechte und nachhaltige Mobilität jetzt!” Sie kritisiert u.a. den historisch gewachsenen, häufig kategorischen Vorrang von Autos vor anderen VerkehrsteilnehmerInnen, und macht auf die daraus entstehenden Folgen, wie z.B. den hohen Flächenbedarf von Autos im öffentlichen Raum, aufmerksam.
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“Wer sich Möbel kauft stellt sie in seine Wohnung. Wer sich ein Auto kauft, stellt es in den öffentlichen Raum.” (Günter Steinbauer, Wiener Linien)
Hier wird deutlich: auf dem Weg zum zukünftigen Mobilitätsmix geht es nicht ausschließlich um die Erreichung der Klimaziele. Um Städte, insbesondere Wien, in Zukunft noch lebenswerter zu machen, fordern sowohl Fridays for Future als auch Platz für Wien eine Umverteilung von Flächen zugunsten von FußgängerInnen und RadfahrerInnen.
“Auf Wiens Straßen darf das Auto nicht mehr länger der prominenteste Verkehrsteilnehmer sein. (…) Sichere, freiheitsfördernde, nachhaltige Mobilität für alle funktioniert nur, wenn Autofahren unattraktiver gemacht wird.” (Mira Dolleschka, Fridays for Future)
Der Modal Split muss alle VerkehrsteilnehmerInnen berücksichtigen
Der Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln und anderen Transportmitteln muss barrierefrei und bezahlbar sein. Straßen sollen zum Verweilen einladen und ein Ort der Begegnung sein. Dazu gehören laut Platz für Wien u.a. Sitzgelegenheiten für kurze Ruhepausen, Bäume, die Schatten spenden, genauso wie ein durchgängiges Radnetz mit angemessen breiten Radwegen, und verkehrsberuhigte Wohngebiete, in denen man mit offenen Fenstern schlafen kann und wo Kinder guten Gewissens zum Spielen nach draußen gelassen werden können. Das kann nur gelingen, wenn der Anteil von PKWs am Modalsplit reduziert wird.
“Die Zukunft der Stadt ist nicht-fossil und auto-arm“ (Martin Berger)
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Car-Sharing Modelle sind prädestiniert dafür – doch Nico Prugger, CEO von ELOOP, Car-Sharing Anbieter mit einer rein elektrischen Flotte, kritisiert, dass Carsharing-Anbieter, die mit ihren Geschäftsmodellen dazu beitragen, die Auslastung der Fahrzeuge zu erhöhen, und somit die Gesamtzahl der Fahrzeuge in der Stadt zu verringern, vergleichsweise hohe monatliche Parkpauschalen bezahlen müssen – regulatorische Hürden, die es sinnvollen Initiativen schwer machen, gegenüber altgedienten Playern Fuß zu fassen.
Und obwohl sich alle SpeakerInnen der Austrian Roadmap 2050 einig sind, dass Autos, und insbesondere fossile Brennstoffe, im Mobilitätsmix der Zukunft eine deutlich kleinere Rolle spielen müssen, und die autofreie Innenstadt gerade in Wien Tagesthema ist: so ganz wegdenken kann man sich die Autos dann eben doch nicht, auch wenn das Auto zukünftig eher weniger im Besitz einzelner Familien oder Haushalte ist, sondern über Sharing-Modelle abgerufen werden kann. ELOOP hat einen Block-Chain-Token entwickelt, mit dem man sich ab ca. 250 € an dem Unternehmen beteiligen und somit auch mitverdienen kann. Aus Sicht von Nico Prugger, CEO von ELOOP, funktioniert nur so „echtes“ Sharing – dezentralisierter Fahrzeugbesitz.
Der ideale Mobilitätsmix für die Stadt Wien
“40-40-20: Die Idealmaße einer lebenswerten Stadt?” (Lukas Lang und Univ.Prof. Martin Berger)
Im neu entstehenden Urban Lab aspern Die Seestadt im 22. Wiener Bezirk hat man bereits eine Antwort auf die Frage gefunden, wie der ideale Mobilitätsmix für die Stadt in Zukunft aussehen soll: Unter dem Motto 40-40-20 sollen in Zukunft nur noch 20% der Wege im motorisierten Individualverkehr zurückgelegt werden, während jeweils 40% über Öffis bzw. zu Fuß oder Rad abgedeckt werden sollen. Auch wenn der neue Stadtteil – mit zukünftig bis zu 25.000 BewohnerInnen (heute: ca. 8.000 BewohnerInnen) und mit 20.000 Arbeitsplätzen – heute noch nicht ganz an dieses Ziel heranreicht, wird einiges unternommen, um eine funktionale Stadt mit kurzen Wegen und einem integrierten Mobilitätskonzept aufzubauen. Elementarer Bestandteil des Konzepts sind eine auf FußgängerInnen und RadfahrerInnen fokussierte Gestaltung der öffentlichen Räume, sowie die Erweiterung bestehender Mobilitätsangebote, wie beispielsweise der U2, über Fahrradverleih- und Car-Sharing-Dienste. Dass das auch zulasten von Parkflächen und damit der Zufriedenheit von AutobesitzerInnen geht, wird zugunsten von Klimafreundlichkeit und Ressourcenschonung bewusst in Kauf genommen.
“Damit das Mobilitäts-Ökosystem der Zukunft funktioniert und Städte sauberer, leiser und sicherer werden, müssen viele verschiedene Player in einer neuen, herausfordernden Komplexität kooperieren. Die spannende Frage lautet: Wer wird dabei welche Rolle einnehmen, und wer wird die Fäden als Orchestrator in der Hand halten?“ (Alexander Hotowy, accilium)
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Alexandra Reinagl und Günter Steinbauer von den Wiener Linien sind sich hier einig: Öffis sind die zentralen Lebensadern der Stadt, doch sind weitere Verkehrsmodi und Mobilitätsanbieter als komplementär und wichtig zu betrachten – anstatt einer Konkurrenzsituation gilt es einen funktionalen Umweltverbund zu schaffen, indem die Wiener Linien als zentraler Enabler eine Mobilitätsplattform anbieten. Zu dieser Rolle im Ökosystem gehört einerseits natürlich die Sicherstellung eines möglichst reibungslosen Betriebs und der Ausweitung und Optimierung des Öffi-Netzes, das aktuell u.a. mit dem Ausbau des Linienkreuzes U2 und U5 anvisiert wird.
Aber damit nicht genug – als Orchestrator ist integratives Handeln gefragt: mit der Wien Mobil App und dem Ausbau der Wien Mobil Stationen ermöglichen die Wiener Linien bereits heute KundInnen ein nahtloses Mobilitätserlebnis, in dem Multimodalität einfach zugänglich wird. Doch noch spielen hier nicht alle Player im Mobilitätsmix mit: beispielsweise sind einige Car-Sharing-Betreiber großer OEMs nicht bereit, ihre Systeme zu öffnen. Außerdem sind seit einigen Jahren Micromobility-Anbieter neu im Spiel, die u.a. E-Scooter free floating über die Stadt verteilen, und somit zwar einerseits neue Optionen, insbesondere für die First und Last Mile ins Spiel bringen, gleichzeitig aber auch noch die ein oder anderen Probleme verursachen, wenn beispielsweise Gehwege damit zugestellt werden. Hier fehlen heute noch entsprechende Regularien, die es zukünftig seitens Politik in enger Kooperation mit anderen Mobilitätsanbietern sowie NutzerInnen zu lösen gilt.
Ein offenes Mobilitäts-Ökosystem ist der richtige Weg
Auch Claudia Falkinger von Women in Mobility (Keynote: 5 Zutaten für die vielfältige Mobilität von morgen) ist sich sicher, dass die besten Lösungen gemeinsam in einem offenen Ökosystem und unter Berücksichtigung vieler verschiedener Perspektiven geschaffen werden können. Mit der im Frühjahr 2019 geschaffenen Community creates Mobility wurde deshalb ein offenes System aus mittlerweile mehr als 80 Organisationen von Industrie, Startups, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und vielen weiteren engagierten MobilitätsdenkerInnen initiiert: Nur wenn Politik einen Rahmen zum Ausprobieren und Umsetzen von Lösungen schafft, Unternehmen experimentierfreudig sind und offene Fehlerkulturen in Bezug auf die Entwicklung der Mobilität von morgen leben, und NutzerInnen sich aktiv mit Ideen und Feedback einbringen, können diese Herausforderungen bestmöglich gemeistert werden.
Zum offiziellen Event: Sauber, leise, sicher: Welchen Mobilitätsmix braucht die lebenswerte Stadt?
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